Die sieben Gaben des Heiligen Geistes – Der Geist der Gottesfurcht

P. Markus Christoph SJM

Gottesfurcht
Gespür für die Größe Gottes

Die letzte Gabe des Heiligen Geistes ist die Gottesfurcht. Auch sie schließt sich inhaltlich an die vorhergehende Gabe an: Die Frömmigkeit erlaubt uns einen Blick auf den allmächtigen Gott als zugleich liebenden Vater, so wie Gott selber (der Sohn) auf den Vater blickt. Diese kindlich-familiäre Beziehung mit Gott, die uns die Gabe der Frömmigkeit erlaubt, birgt für uns gebrochene Menschen stets die Gefahr, blind zu werden für Gottes unendliche Größe und Würde, wie leicht missverstehen wir Gott als „Lieben Gott“, als „netten Großvater“ im Himmel. Und darum bedarf die Frömmigkeit der Ergänzung durch die Gottesfurcht: Dem Gespür für die Größe Gottes.

Nicht zuletzt bei dieser Gabe sind uns die Heiligen – alle Heiligen – leuchtende Vorbilder. Es gibt keinen Heiligen ohne ein Gespür für die Größe Gottes. Ein besonders schönes Beispiel ist die Gottesfurcht des heiligen Pfarrers von Ars. Von ihm wird berichtet, seine Ehrfurcht vor dem Herrn sei so groß gewesen, dass er es peinlichst vermieden habe, sich in der Kirche direkt mit dem Rücken zum Tabernakel hin zu bewegen – aus dem wachen Bewusstsein der Größe dessen, der hier gegenwärtig ist.

Wie kann Gottesfurcht eine Gabe des Heiligen Geistes sein, wenn doch im Johannesbrief steht „Die Liebe kennt keine Furcht. Die vollkommene Liebe schließt die Furcht aus“ (1 Joh 4,17). Und in den Abschiedsreden nennt Jesus seine Jünger nicht mehr Knechte, sondern Freunde?  (vgl. Joh 15,15). Ist im Neuen Testament durch Jesus die Gottesfurcht nicht endgültig überwunden?

Ein kurzer Satz aus der Summa Theologiae löst die scheinbare Antinomie zwischen Liebe und Furcht: „Jede Furcht ergibt sich aus Liebe: denn wer fürchtet, fürchtet nur das Gegenteil von dem, was er liebt.“ Furcht ist nicht nur kein Widerspruch zu Liebe, Furcht ist vielmehr nur möglich für jemanden, der aufrichtig liebt; denn die Liebe fürchtet sich, vom Geliebten getrennt zu werden.

Damit muss (!) sogar jeder, der aufrichtig lebt, – solange er diese Liebe wieder verlieren kann – immer von Furvht begleitet sein. Nicht von knechtischer Furcht vor Strafe, sondern von der Furcht, den Geliebten zu betrüben, ihm zu missfallen, seine Liebe zu verletzen. Auf diese Weise wird die Gottesfurcht niemals von der Liebe überwunden. Zwar stimmt, dass le größer die Liebe, desto kleiner die Furcht vor Strafe wird; aber genauso richtig ist: je größer die Liebe desto größer das Bewusstsein für die unendliche Würde Gottes, für den unendlichen Unterschied zwischen seine Majestät und unserer Unzulänglichkeit, und desto größer die Furcht (vor uns selbst!), die Liebe Gottes von unserer Seite aus zu verletzen.

Damit schließt sich der Kreis der Gaben des Heiligen Geistes, so dass die letzte wieder zur ersten führt: Erst das Gespür für die Größe Gottes schenkt und den objektiven Maßstab für das, was wirklich wichtig ist in unserem Leben – was wir als Definition der Weisheit gefunden haben. Was an vielen Stellen der Weisheitsliteratur des AT betont wird, nämlich „Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Weisheit“ (z.B. Ps 111.10) – erhält auf diese Weise eine inhaltliche Stimmigkeit.

 [Der ganze Vortag mit dem Titel „Die Gaben des Heiligen Geistes als Schlüssel für den Alltag“ ist enthalten in: Der Katholische Glaube – Kraft für den Alltag, Berichtband der 24. Theologischen Sommerakademie – (Bestelladresse IK-Augsburg, Nordfeldstr. 3 – 86899 Landsberg)]

Quelle: Der Fels, Juni 2017, S. 171.
Eichendorfer Str. 17, D-86916 Kaufering.
Redaktion: Hubert.Gindert@der–fels.de

© Nachdruck ist mit Quellenangabe gestattet.