Der Mahner des Königs

7. Mai – Heiliger Stanislaus, Bischof und Märtyrer,
geboren 1030 zu Szczepanow,
gestorben am 11. April 1079 zu Krakau.

König Boleslaw II. von Polen war vergnügt. Beim Mahl hatte er wacker gezecht, und die Höflinge hatten seiner Eitelkeit mehr als gewöhnlich geschmeichelt.

Jetzt saß er, in kostbaren Brokat gekleidet, in seinem Wohngemach, als ihm ein Diener den Bischof Stanislaus von Krakau meldete.

„Laß ihn hereinkommen, Tölpel“, befahl Boleslaw. „Aber schieb mir zuerst das Polster unter meinen linken Fuß! Du weißt, ich habe mir vom russischen Feldzug das Podagra mitgebracht. Das Podagra und die Königskrone! Hahaha!“

Wenig später trat der Krakauer Kirchenführer. Ein Mann von hoher Gestalt und hageren, asketischen Zügen in das königliche Gemach.

„Komm, komm!“ rief ihm der König gutgelaunt zu. „Da setz dich zu mir, Pfäfflein! Ich bin mit dir und den Lieben Gott zufrieden. Kannst dir eine Gnade erbitten, Bischöflein! Darf schon was kosten!“

„Nicht eine Gnade auszubitten kam ich her!“ antwortete der Bischof ernst.

„Nun gut! Wozu also kamst du denn? Willst mir wohl eine Predigt halten, Pfäfflein? Nun fang schon an! Will ohnehin hernach ein wenig ruhen, da kannst du mich gleich ein bißchen einschläfern; denn nie schlaf ich so gut, als wenn du predigst.“ Dröhnend lachte der König, lehnte sich dann behaglich in seine Kissen zurück, als erwartete er ein köstliches Schauspiel.

„Ich stehe im Namen Gottes vor Euch, König Boleslaw“, sprach der Krakauer Oberhirte streng. „Ihr habt in Eurem Land Recht und Unrecht verkehrt. Unschuldige habt ihr büßen lassen, und die Schuldigen ließet Ihr ohne Strafe.“

„Gut, Gut, ausgezeichnet!“ grinste der König. „Hast deine Lektion wohl gelernt. Was noch?“„Ihr habt in unreiner Hand nach der Frau eines Edelmanns ausgestreckt und sie mit Gewalt entführt.“

„Ach, hat der gute Miecislaus sich über mich beklagt?“ lachte Boleslaw. „Ei, ei, sehr gefährlich von ihm. Könnte ihn leicht sein hochgeborenes Köpflein kosten. Aber mach nur fort! Du beginnst mich einzuschläfern.“

„Euer ehebrecherisches Treiben, König, ist ein schweres Ärgernis für das ganze Land. Mit Eurer Leichtfertigkeit entschuldigt nachgerade jeder Bauer seinen sündhaften Wandel.“

„So schlag sie, schlag sie, Stanislaus!“ gähnte der König. „Was fällt dem Pöbel ein, seinen König nachzuäffen? Was weißt du sonst noch?“

„König Boleslaw, im Namen Gottes, wenn ihr nicht abseht von Eurem gottlosen Treiben, so banne ich Euch aus der Gemeinschaft der Heiligen Kirche.“

„Du scherzest!“ rief der Herrscher erbleichend.

„Solltet Ihr ohne deutliches Zeichen Eurer inneren Umkehr es dennoch wagen, eine Kirche zu betreten, so wird der Priester das heilige Opfer sofort unterbrechen und Euch aus dem Gotteshaus weisen, das Ihr durch Eure Gegenwart entweiht.“

Nun schwieg der König. Mit zusammengekniffenen Augen schaute er den furchtlosen Mahner durchdringend an. Schwer ging sein Atem. Plötzlich begann er am ganzen Leib zu beben. Fingerdick schwoll seine Stirnader.

„Das wagst du gegen deinen König?“ schrie er heiser vor Zorn. Jäh sprang er auf, trat dicht vor den Bischof hin, so daß sein keuchender Atem dem anderen ins Gesicht stieß. Mit wildem Griff krallte er seine Rechte in den Arm des Kirchenfürsten. Dann zischte er kaum vernehmbar hervor: „Höre, Pfaff, solltest du deine Drohung wahr zu machen dich unterstehen, so kostet es dich dein Leben! Und nun geh! Ich will dich nicht mehr sehn!“

Wenige Wochen später war es. Der Bischof von Krakau brachte in der Michaelskirche vor den Toren der Stadt das heilige Opfer dar. Plötzlich schreckten die Frommen aus ihrer Andacht auf. Ein Haufen Reisiger betrat das Gotteshaus, in ihrer Mitte der König. Sporenklirrend durchschritt er da Gotteshaus bis zum Chor, um sich dort auf einen Hochsitz niederzulassen.

Da wandte sich der Bischof ohne Zögern am Altar um, schaute den Tyrannen furchtlos an und sprach:

„König Boleslaw, ich gebiete Euch im Namen Gottes, verlaßt die Kirche!“

Da sprang der König wie ein wildes Tier auf die Altarstufen zu und schrie, am ganzen Leib zitternd:

                                          Der König ermordet den Bischof am Altar

„Das bietest du mir, deinem König?“ Und sich umwendend rief er, vor Wut mehr heulend als sprechend, seinem Gefolge zu: „Was steht ihr da, ihr Schweine? Habt ihr die Schmach nicht gehört, die der Geschorene euren König antat? He! Zieht blank und erstecht ihn!“ Irr flackerten seine Augen wie die eines Wahnsinnigen, von einem seiner Reisigen zum andern. Aber keiner von ihnen legte die Hand an die Waffe. „Ihr wollt nicht, ihr Hunde?“ Des Königs Stimme überschlug sich vor Wut. Die Augen quollen ihm aus den Höhlen. Schaum quoll ihm vor dem Mund. Dann riss er plötzlich sein Schwert aus der Scheide, sprang mit einem tierischen Laut den Bischof an  und hieb ihn zu Boden.

So starb Stanislaus, der unerschrockene Mahner seines Königs. Seine Leiche ließ der König zerstückeln und den Tieren des Feldes zum Fraß vorwerfen. Priester und Volk aber sammelten die Reliquien und trugen sie ehrfürchtig in die Domkirche.

Der König ward aber vom Papst gebannt, verlor Land und Krone und floh nach Ungarn zu seinem Vetter Ladislaus. Hier fand er einen ruhmlosen Tod. In den ungarischen Wäldern, die er ruhelos durchstreifte, soll er zugrunde gegangen sein. Die eigenen Hunde fraßen, wie die Überlieferung berichtet, seine Leiche.

 

Quelle: Wilhelm Hünermann, „Der endlose Chor“. Ein Buch von den Heiligen für das christliche Haus. 2. Auflage, 1949. Verlag Herder Freiburg. S. 250.

 

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