Buße und Buß-Sakrament

 Buße und Reue im Bewusstsein der Zeit

a) Elisabeth Langgässer schreibt: „Wer noch sündigen kann, kann auch die Sünde bereuen“ (1). Wo der Mensch in lebendiger Beziehung zu Gott steht, erwacht alsbald nach der Sünde die Sehnsucht, zu Gott heimzukehren, mit Gott Frieden zu machen. Ohne Sündenbewusstsein keine Reue und kein Verhältnis zum Sakrament der Buße!

Buße und Bußsakrament sind eine Einheit. Durch das äußere Zeichen des Sakramentes wird der innere Vorgang der Buße abgeschlossen und vollendet. Das Bußsakrament empfängt als Zeichen Christi seine Kraft vom Kreuze Christi – somit steht auch die innere Buße im Zeichen des Kreuzes Christi.

b) Nietzsche hat das Wort eingehämmert: „Niemals der Reue Raum geben, sondern sich sofort sagen: Dies hieße ja der ersten Dummheit eine zweite zugesellen“ (2). Er nannte die Reue „eine Art Feigheit gegen die eigene Tat“. – „Man soll sich nicht selbst im Stiche lassen unter dem Ansturm unerwarteter Schande und Bedrängnis. Ein extremer Stolz ist da eher am Platze.“ „Mit einem Erlebnis nicht fertig werden, ist bereits ein Zeichen der Dekadenz. Dies Wiederaufreißen alter Wunden, das Sich-Wälzen in Selbstverachtung und Zerknirschung ist eine Krankheit mehr, aus der nimmermehr das Heil der Seele, sondern immer nur eine neue Krankheitsform derselben entstehen kann“ .(3)

c) Nietzsche steht nicht allein. Nach der Sünde soll man den Mut haben, noch einmal zu sündigen, denn Sünde sei ein Zeichen starker seelischer Kräfte, „nicht bloß etwas weniger Gutes, nicht bloß ein Durchgang, sondern Auftrieb zum Guten. Ein Kranz von Schönheit und Güte darf ihr gewunden werden.“ – „Freie Bahn der erotischen Begabung!“ (4). Für Menschen, die nur die Selbstbehauptung kennen, ist Reue und Buße eine Art Selbstbetrug, Feigheit, seelische Krankheit, moralischer Katzenjammer, da der Mensch nicht wagt, zu den weniger gelungenen Taten seines Lebens zu stehen. Dabei wird übersehen, dass niemand mehr zu seiner Tat steht, als wer sie richtig erkennt und seine Täuschung vor Gott zu bekennen wagt. Manche unserer Katechumenen kommen aus einer Welt, in der die genannte Auffassung von Reue gelebt wird.

d) Ganz anders spricht die Tiefenpsychologie und Psychotherapie. Auf Grund der Untersuchung seelischer Befunde ist sie der Überzeugung, dass Schuld ein seelisches Phänomen besonderer Art ist.

Jeder Mensch muss sich mit seinem „Schatten“, seiner dunklen, bösen Seite, auseinandersetzen.(5)  Wer dies nicht tut, lebt in der Unwahrheit, in einer Lebenslüge, die sich in seelischen und körperlichen Krankheiten auswirken kann (6). Durch Sünde und Schuld ließ sich der Mensch von seiner inneren Lebenslinie abdrängen. Die verheerenden Folgen der „Lebenslüge“ zeigen sich mit der „Zwangsläufigkeit eines naturgesetzliches Geschehens“ (7). Das Gewissen ruft zur Lebenslinie zurück.  Nun besteht die Aufgabe der „Aufhellung“, d.h. der Einsicht in Sünde und Schuld, Sinn und Sinnlosigkeit der begangenen Tat – und der Neuordnung nach einem klaren Ordnungsziel, „Neuordnung aus Gott“ (8). Wer einen Menschen die Einsicht in seine Schuld ersparen will, kann dieses für den Augenblick beruhigen, nie aber ihn zur Ordnung und Ruhe führen (9).

Dieselbe Tiefenpsychologie beweist, dass ein Mensch seelisch und bei seelisch bedingten Körperleiden auch körperlich geheilt werden kann, wenn eine nicht anerkannte, nicht bekannte und ausgeglichene Schuld nunmehr eingesehen, eingestanden und verurteilt wird und wenn der Wille erwacht, wiedergutzumachen und zu sühnen (10).

Wir Christen müssen allerdings auf der Hut sein, dass Schuld und Sünde nicht nur als innerseelische Störungen gesehen werden, die ohne Gott behoben werden könnten (11) Wahre Heilung der Krankheit und wahres Heil im Sinn einer Neuordnung des Lebens ist nur möglich, wenn Aufhellung, und Einsicht, Bekenntnis und Neuordnung im Angesichte Gottes, in seinem Licht, mit seiner Gnade – in seiner Kirche geschieht.

Anmerkungen
1. Märkische Argonautenfahrt, Hamburg 1950, S. 290
2. Kröner, Gesamtausgabe, Bd. 72, S. 323
3. ebenda, zit Bopp, Moderne Psychoanalyse und katholische Beichte, S. 75
4. Wyneken
5. C.G. Jung; vergleiche Jean Vieuxjean,  Anima 1954, 3, S. 245;  Wort und Wahrheit, April 1951, 4, S. 245
6. vergleiche ebenda und Fritz Leist, zit. bei Bitter, Psychotherapie und Seelsorge, Stuttgart 1952, S. 163 ff.
7. Gerhard Pfahler, Der Mensch und seine Vergangenheit, Stuttgart 1950, S. 210
8. Pfahler, a. a. O., S. 140 f.
9. ebenda 2. 210
10. Ein Beispiel bei G.R. Heyer, Menschen in Not, Stuttgart 1942, S. 266 ff.
11. s. Angst und Schuld, Gesammelte Vorträge von W. Bitter, Stuttgart 1953

Quelle: Katechetisches Handbuch zum katholischen Katechismus – von Alfred Barth – Schwabenverlag – Stuttgart